Jutta Fuchshuber, Erneute Kürzung der Förderung! Neue Hürden durch das Freiwilligengesetz, in: GEDENKDIENST, 2/2016, S. 1-2.
Erneute Kürzung der Förderung! Neue Hürden durch das Freiwilligengesetz
In der Ausgabe 3/2015 von GEDENKDIENST gab Moriz Kopetzki unseren Leserinnen und Lesern einen Einblick in das 2012 erlassene Freiwilligengesetz (FreiwG) und dessen Novellierung 2015. Im Leitartikel Freiwilligengesetz 2.0 – Meilensteine und offene Baustellen skizzierte er die Aspekte des FreiwG sowie die anstehenden Neuerungen für Gedenkdienste. Sehr erfreulich ist, dass seit 2016 Frauen und Männer zu gleichen Bedingungen Gedenkdienst leisten können – eine jahrelange Forderung von GEDENKDIENST, die nun umgesetzt wurde. Kopetzki zog folgende Schlussfolgerung daraus: „Ein Neustart für Gedenkdienst. 2015 wird als das Jahr in die Gedenkdienst-Archive eingehen, indem die bisherige Ungleichbehandlung von Männern und Frauen im Gedenkdienst beseitigt wurde. Es waren viele Jahre intensiver Arbeit mehrerer Vereins-, Obmänner- und Vorstandsgenerationen notwendig, um die überfällige Erneuerung von Gedenkdienst umzusetzen. Nun ist der einheitliche rechtliche Rahmen endlich geschaffen. 2016 wird das Jahr der intensiven Umsetzung der Änderungen, die genauer Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Bestimmungen bedürfen wird. Es bleibt weiterhin arbeitsintensiv und wir bleiben am Ball!“[1]
Moriz Kopetzki sollte recht behalten: 2016 blieb für GEDENKDIENST ein arbeitsintensives Jahr! Seit 1. Jänner 2016 gelten nun die rechtlichen Rahmenbedingungen des FreiwG für einheitlich geregelte Gedenk-, Friedens- und Sozialdienste im Ausland. Seit dieser Änderung fallen Gedenkdienste in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BMASK), sind nicht mehr im Bundesministerium für Inneres angesiedelt und werden in vielen Aspekten gemeinsam mit anderen Freiwilligendiensten geregelt. Der Bund legt eine jährliche Zuwendung für alle Freiwilligendienste im Ausland in der Höhe von 720.000 EUR fest. Bei der Verteilung der Förderung ist laut gesetzlicher Vorgabe allerdings auch die soziale Bedürftigkeit der Freiwilligen zu berücksichtigen. Das BMASK hat über mehrere Monate einen Förderungsvertrag ausgearbeitet und diesen den Trägervereinen, wie der Verein GEDENKDIENST einer ist, im Herbst 2016 vorgelegt.
Kritikpunkte von GEDENKDIENST am Förderungsvertrag – Stand Herbst 2016
Aus diesem neuen Förderungsvertrag ergeben sich gravierende Änderungen, die uns als Verein an die Grenzen der Belastbarkeit bringen. Der Förderungsvertrag verschlechtert die ohnehin schon prekäre finanzielle Situation für die Gedenkdienstleistenden – trotz steigender Versicherungsbeiträge und der massiven Preissteigerung in den letzten 25 Jahren. Laut Statistik Austria stiegen seit 2000 die Preise in Österreich um rund 35%, an den ausländischen Einsatzstellen teils noch dramatischer.[2] Ebenfalls steigt der administrative Aufwand sowohl für unsere Geschäftsführung und Kassiere als auch für alle unsere freiwilligen AktivistInnen enorm, obwohl wir als Verein keine Basissubventionierung seitens der Republik Österreich erhalten, die für die Auferhaltung unserer minimalen Infrastruktur notwendig ist.
,Alles-oder-Nichts-Prinzip‘ – Einkommensgrenzen und Nachweise
Die Förderung für Gedenkdienste durch das BMASK wurde im FreiwG in erster Linie an die soziale Bedürftigkeit der Freiwilligen geknüpft und wird vom Ministerium mit einem ,Alles-oder-Nichts-Prinzip‘ interpretiert. Die Umsetzung des Förderungsvertrags
erfolgt über das jährliche Bruttoeinkommen des Haushaltes, das 75.000 EUR, oder bei eigenen Einkünften 25.000 EUR, nicht übersteigen darf. Somit hängt die Förderwürdigkeit von angehenden Gedenkdienstleistenden vom Jahresbruttoeinkommen des gesamten Haushaltes ab und lässt reale Lebensumstände außer Acht (Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder, Unterschiede der lokalen Lebenshaltungskosten, bestehende finanzielle Verbindlichkeiten, Verpflichtungen bei pflegebedürftigen Familienmitgliedern, u.v.m). Wir haben in den letzten Jahren oft den Fall gehabt, dass sich junge Menschen zu einem Gedenkdienst entscheiden, aber von ihren Familien aus politischen oder materiellen Gründen nicht unterstützt werden – laut dem System des BMASK sind sie jedoch von diesen abhängig. Damit geht auch einher, dass wir als Trägerverein zum Einholen von Einkommensnachweisen und der Übermittlung dieser sensiblen Daten an das BMASK verpflichtet sind.
Schon wieder eine Kürzung der Fördersumme!
Seit unserer Gründung 1992 sind wir mit der prekären Förderpolitik der Republik Österreich konfrontiert und dennoch wurde die ohnehin knappe Fördersumme für Gedenkdienstleistende in den letzten Jahrzehnten nur noch weiter runter gekürzt. Die Pro-Kopf-Summe soll im Idealfall für ein Jahr die Versicherungsbeiträge (Sozial- und Zusatzversicherung), Visa- Kosten, Miete, Verpflegung und Reisekosten der Freiwilligen decken. Es ist aber leider viel zu oft, dass Gedenkdienstleistende massiv auf private Ersparnisse und insbesondere familiäre Unterstützung angewiesen sind, um sich einen Gedenkdienst überhaupt leisten zu können – dies haben wir als Verein ständig kritisiert. Wir stießen auf taube Ohren!
Seit 2017 ist es seitens des BMASK vorgesehen, dass nur mehr jene Gedenkdienstleistenden finanziell unterstützt werden, die das Ministerium als förderungswürdig einstuft – wie oben skizziert, wird hier das Haushaltseinkommen als Bemessungsgrundlage herangezogen. Der Förderungsvertrag sieht einen maximalen Betrag von monatlich 720 EUR pro förderungswürdiger Person vor und lässt die Freiwilligen finanziell noch schlechter darstehen als die Jahre zuvor. Waren es 2009 noch 10.000 EUR jährlich pro Gedenkdienstleistender/Gedenkdienstleistendem, so wurde sie mittlerweile auf eine Fördersumme von 8.640 EUR minimiert – das sind Kürzungen trotz steigender Lebenshaltungs- und Versicherungskosten. Diese Kürzungen verschlechtert die ohnehin schon prekäre finanzielle Situation unserer Gedenkdienstleistenden weiter. Sie erhalten immer weniger Geld für lebensnotwendige Ausgaben wie Unterkunft und Verpflegung. Nach Abzug der Versicherungskosten blieben unseren Gedenkdienstleistenden durchschnittlich nur rund 525 EUR monatlich zum Leben – das sind knapp 130 EUR in der Woche und 18 EUR am Tag. Sie sollen demnach mit einer monatlichen Summe einen Gedenkdienst im Sinne der Republik Österreich leisten, die weniger als die Hälfte der Armutsgefährdungsschwelle in Österreich ausmacht. Dies ist eine massive Verschlechterung und macht Gedenkdienst noch stärker zu einem Projekt, das sich nur eine kleine sozioökonomische Elite leisten kann.[3]
Und wieder ein Anstieg des organisatorischen und bürokratischen Aufwands!
Der unverhältnismäßige Anstieg des administrativen Aufwands übersteigt das bisherige Ausmaß um ein Vielfaches und stellt uns als Entsendeorganisation vor großen Herausforderungen. Um ein Beispiel aus der Praxis zu nennen: Der Förderungsvertrag sieht vor, dass wir jährlich Einkommensnachweise der im Sinne des BMASK als förderwürdig qualifizierten Gedenkdienstleistenden einsammeln sowie vorprüfen um diese dann an das BMASK zu übermitteln. Seit Jahren sind unsere Gedenkdienstleistenden auch dazu verpflichtet die knapp bemessenen Fördergelder in umfassenden Rechenschaftsberichten zu belegen, die von uns geprüft und an das Ministerium übermittelt werden. Dies ist besonders problematisch, da der Verein keine Basissubventionierung seitens der Republik Österreich erhält und ausschließlich über Mitgliedsbeiträge sowie Spenden finanziert wird. Die Aufrechterhaltung einer minimalen Infrastruktur ist zur Erfüllung der gesetzlichen Auflage unerlässlich. Seit 25 Jahren können wir unsere Entsendetätigkeit nur dank zahlreicher ehrenamtlicher AktivistInnen kontinuierlich auf hohem Niveau umsetzen.
Was hat sich seit Herbst 2016 verändert? – Flexibilisierungsklausel
Sofort nach dem Erhalt des Förderungsvertrags teilten wir dem BMASK unsere Kritikpunkte mit und haben über diese mit den zuständigen Verantwortlichen diskutiert. In den vielen Gesprächen haben wir klargemacht, dass sich die bisherige prekäre Situation für den Verein und die Gedenkdienstleistenden durch die neuen Richtlinien erneut drastisch verschlechtert. Vereinsmitglieder haben in den letzten Monaten intensiv über die Vor- und Nachteile sowie über den im Zuge der Gespräche vom BMASK aufgebrachten Vorschlag einer sogenannten Flexibilisierungsklausel diskutiert.
Was ist diese Flexibilisierungsklausel?
Der Förderungsvertrag wird um die sogenannte Flexibilisierungsklausel erweitert werden. Zwar bleiben derzeit die Einkommensgrenzen für Haushalte als Kriterium für eine Förderung erhalten, jedoch wurde eine zusätzliche Klausel geschaffen, welche die realen Lebensumstände berücksichtigt und Ausnahmen ermöglicht: Sollte ein Haushalt mehr als das angegebene Einkommen verdienen, dann ist eine Überschreitung in begründeten Fällen möglich und die Person erhält eine Förderung für Gedenkdienst. Als Einkommensnachweise des Haushaltes oder von SelbsterhalterInnen können die Lohn- und Gehaltszettel als auch eine schriftliche Bestätigung von den Eltern bzw. des Selbsterhalters bzw. der Selbsterhalterin über das Einkommen von den Trägervereinen eingehoben werden. Diese sind auf Rechtmäßigkeit und Plausibilität von den Trägervereinen zu prüfen und zu übermitteln.
Forderungen von GEDENKDIENST
Die Förderung von Gedenkdienstleistenden darf nicht an Einkommensgrenzen geknüpft sein. Das Einkommen der Eltern oder eines Elternteils darf kein entscheidendes Kriterium für die Finanzierung eines Gedenkdiensts sein!
Die monatliche Förderung für unsere Gedenkdienstleistenden bleibt trotz der Flexibilisierungsklausel unverändert. Die gesunkene Pro-Kopf-Fördersumme muss zumindest wieder auf den bisherigen Status quo von 9.000 EUR erhöht werden!
Ziel ist die Vereinfachung der administrativen Abwicklung der Entsendetätigkeit und der Abbau von Bürokratisierung für die ehrenamtlich tätigen Trägervereine!
Flexibilisierungsklausel: Wie geht es weiter?
Die Vereinsmitglieder haben der Flexibilisierungsklausel im Rahmen der außerordentlichen Generalversammlung widerwillig zugestimmt, da wir u.a. bereits den Jahrgang 2017/2018 ausgewählt haben und eine ausbleibende Entsendung einschneidende Auswirkungen auf unsere Einsatzstellen gehabt hätte. Unsere Gedenkdienstleistenden sind ein wichtiger Teil der Teams und der Arbeit an den Einsatzorten. Klar ist, dass es sich bei der Klausel nur um einen Kompromissvorschlag unsererseits handelt – wir als Verein setzten uns weiter für eine umfassendere Anpassung und eine Abschaffung des ,Alles-oder- Nichts-Prinzips‘ ein. Wir werden über die offenen Kritikpunkte in den nächsten Monaten weiterverhandeln, um eine Entsendung des nächsten Jahrgangs 2018/2019 zu ermöglichen. Wir werden nicht leise sein! Wir setzen uns weiterhin für bessere Bedingungen für unsere Gedenkdienstleistenden ein! Gedenkdienste dürfen nicht unter der Verschlechterung der Förderbedingungen und der Bürokratie zusammenbrechen! Es ist die Verantwortung der Republik Österreich, dass Gedenkdienste mit besseren (Förder-) Bedingungen erhalten bleiben. Dafür werden wir uns auch künftig einsetzen und stark machen! Somit startet GEDENKDIENST die Entsendetätigkeit im Rahmen des novellierten Freiwilligengesetzes mit einem Förderungsvertrag ab August 2017 unter sehr schlechten Bedingungen. Um Kopetzkis Conclusio aufzugreifen: Auch das Jahr 2017 wird für GEDENKDIENST besonders arbeitsintensiv werden! Und ja, wir werden auch weiterhin am Ball bleiben!
Jutta Fuchshuber, Historikerin und stellvertretende Obfrau des Vereins GEDENKDIENST
[1] Moriz Kopetzki, Freiwilligengesetz 2.0 – Über Meilensteinen und offene Baustellen in: GEDENKDIENST 3 (2015), 1–2.
[2] Basis Verbraucherpreisindex 2000, https://www.wko.at/Content.Node/Interessenvertretung/ZahlenDatenFakten/Verbraucherpreisindex.html (01.03.2017).
[3] Die Berechnung basiert auf der jährlich erhaltenen Pro-Kopf-Summe nach Abzug der Versicherungsbeiträge (Sozial-, Pensions- und Zusatzversicherung). Die Versicherungsbeiträge sind über die Jahre hinweg gestiegen bzw. seit 2016 sind alle Gedenkdienstleistenden zusätzlich pensionsversichert. Die angeführten Beträge blieben und bleiben unseren Gedenkdienstleistenden monatlich zum Leben übrig. Von dieser monatlichen Summe müssen allerdings auch die anfallenden Reisekosten von und zum Einsatzort und beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel vor Ort bezahlt werden. Zur Deckung von Unterkunft und Verpflegung bleibt de facto also noch viel weniger.